Catweazle alias Thommy Well, der Biker mit viel Mitgefühl für Menschen, die es schwer haben
Biker zeigen ihre weiche Seite – Der gerade Weg bis ans Ziel
Er schaut hin, nicht weg. Er bewertet nicht und er verurteilt nicht. Er packt zu, mit viel Herz und noch mehr Verstand. Er hilft. Vier Sätze beschreiben den Biker Catweazle alias Thommy (Thomas) Well. Mit seinem langen Bart, der Kluft, den Tattoos, seinem Trike, entspricht der Neufahrner dem oberflächlichen Klischeebild eines wilden Rockers oder gesellschaftlichen Grenzgängers. Dabei geht der Motorradliebhaber einem seriösen Beruf nach: „Ich bin Baulogistiker und betreue Großbaustellen, aber die Straße ist ein Teil meines Lebens“, sagt der 52-Jährige schlicht über seine Leidenschaft. Seine Weggefährten in der Szene kennen ihn unter seinem „Road Name“ Catweazle. Seit über 20 Jahren betätigen sie sich gemeinsam im sozialen Bereich, stehen jenen zur Seite, mit denen es das Leben nicht so gut meint, die sich aus eigener Kraft nicht helfen können: „Wir haben die Schnauze voll von unserer „Spaßgesellschaft“, in der so viele Menschen unter die Räder kommen. Gerade Kinder sind unsere Zukunft. Wir sind überzeugt, als Biker Sachen bewegen zu können“, beschreibt der passionierte Motorradfahrer die Motivation des Engagements.
Ein klarer Neubeginn
Deshalb schaffen die Motorradfreunde mit „Suicide Squad“ eine Plattform rund um die Thematik Depression und unterstützen den Verein Heimatstern für Menschen in Not, denn die Projekte haben Berührungspunkte. Direkt zu Beginn sucht das Team den Austausch mit erfahrenen Therapeuten, die über umfangreiches Wissen mit depressiven Menschen verfügen: „Sie fanden unsere Idee super, weil ihre Kapazitäten ans Limit kommen.“ Ganz bewusst wählen die Kumpel den drastischen Namen für die Facebook-Gruppe: „Wir wissen, „Suicide Squad“, also Selbstmordkommando, klingt sehr aggressiv, aber es ist auf den Punkt gebracht“, erklärt Catweazle und macht unmissverständlich klar: „Weichspülerei war noch nie mein Ding. Bei meinen Missbrauchskampagnen früher habe ich auch kein Blatt vor den Mund genommen, es gibt da einfach nichts schönzureden.“ Früher, das bedeutet vor ein paar Jahren. Lange unterstützen die Fans heißer Maschinen den europäischen Ableger der Bikers Against Child Abuse (B.A.C.A.), eine Gruppierung in den USA, die missbrauchten Kindern Kraft geben möchte, um angstfrei leben zu können. Doch irgendwann müssen die bajuwarischen Zweiradanhänger lernen, Grenzen zu ziehen, denn Hilfe können nur die leisten, die selbst psychisch stark sind: „Nach sechs Jahren mit schwerstmissbrauchten und traumatisierten Kids waren wir einfach fertig, das hat uns an unsere Grenzen gebracht“, erinnert sich Catweazle spürbar bewegt: „Wir mussten aus diesem Bereich raus. Aber einen Ehrencodex haben wir als B.A.C.A. gelernt und verinnerlicht: Nicht wegzuschauen, wenn Unrecht passiert, den Weg gerade zu gehen und vor allem bis zu Ende. Entweder man lebt es oder man lässt es.“
„ … einen Ehrencodex haben wir als B.A.C.A. gelernt und verinnerlicht: Nicht wegzuschauen, wenn Unrecht passiert, den Weg gerade zu gehen und vor allem bis zu Ende. Entweder man lebt es oder man lässt es.“
Catweazle, Suicide Squad
Niemand sucht sich Depressionen aus
Seine Truppe aus Betroffenen, Familienangehörigen und Freunden lebt es. So bündeln die scheinbar harten Kerle ihre wiedererstarkten Kräfte unter „Suicide Squad“ mit dem erklärten Ziel, den Blickwinkel auf depressive Menschen in der Öffentlichkeit zu ändern, Tipps im Umgang zu geben und Eltern, die oft ahnungslos sind, auf die Problematik aufmerksam zu machen: „Es kann jeden treffen, von heute auf morgen. Es handelt sich hier nicht um Idioten, die keinen Bock haben oder den Allerwertesten nicht hochbekommen, sondern um Menschen, die einfach nicht können. Was sollen sie erklären? Sie wissen nicht, warum es sie trifft.“ Catweazle weiß sehr genau, wovon er spricht, seine Tochter leidet jahrelang unter Depressionen: „Sie war Selbstmordkandidatin, wir sind einen harten Weg gegangen, bis zum Ziel. Selbstmord ist keine Option. Wir versuchen, nicht anklagend zu sein, sondern abzuholen, egal, ob es der Depressive ist oder der Verwandte.“
Nach unten geht´s ganz schnell
Mit Sorge blickt Catweazle jetzt auf die Pandemie, die eine wachsende Rolle bei psychischen Erkrankungen spielt. Erste Stimmen befürchten für 2022 nicht nur eine Verdoppelung der Obdachlosen, sondern deutlich darüber hinaus: „Nicht nur, weil sie kein Geld mehr haben, sondern, weil sie aus dem System fallen.“ Es gehe um Menschen, die in den eigenen vier Wänden verwahrlosen, das Leben nicht mehr hinbekommen und aufhören, Miete zu bezahlen. „Depression geht oft mit Obdachlosigkeit einher und Corona ist ein Problemverstärker. Der Absturz geht so schnell, deshalb unterstützen wir den Verein Heimatstern.“ Das Spektrum der Bedürftigen sei riesig, schildert Catweazle eindringlich die Not: „Das erlebt man an einem Ausgabetag und vielen sieht man es gar nicht an. Wir waren gerade in einer Obdachlosenunterkunft bei einer Frau mit ihrem 11-jährigen Kind. Ich dachte, dass das nicht sein kann, da es in einem geschützten Raum sein müsste“, zeigt sich der Biker betroffen und wütend zugleich. „Die Heime sind echt würdelos, mit Zimmern, da stehen ein Bett und ein Kühlschrank. Es gibt nur Gemeinschaftsduschen. Frauen und Kinder können nicht duschen, ohne dass ihnen jemand zuschaut.“
Die einfachen Dinge zählen
Rund 50 bis 100 Betroffe schauen beim Heimatstern regelmäßig vorbei. Wegen der bestehenden Corona-Vorschriften können sie momentan von einer warmen Mahlzeit nur träumen. Daher versucht das Squad-Team seit Wochen, Sach- und Geldspenden aufzutreiben. Auf der Facebookseite schlüsselt Catweazle alle Aktionen auf: „Wir freuen uns über haltbare Lebensmittel wie Eintöpfe, Ravioli und dergleichen aus Dosen“, erklärt er. „Genauso Fischkonserven, Schokolade und Müsliriegel als Energiespender. Hygieneartikel und feuchtes Klopapier, falls sie keinen Zugang zu Wasser haben und Betaisadona – das raue Leben auf der Straße fordert seinen Tribut, viele haben unversorgte Wunden.“ Auch Thermoskannen, Besteck, Frischhalteboxen, Hundedecken oder Ein-Mann-Zelte sind dringend benötigte Dinge. Im Moment überlegt der Unermüdliche, wie er „Knuddelrucksäcke“ im Dreier-Set finanzieren kann: „Die kosten rund 30 Euro. Da passen alle persönliche Habseligkeiten rein.“ Auch für Tabak oder zwischendurch ein Radler sorgt Catweazle aus eigener Tasche: „Leider möchten uns manche Menschen, die Geld spenden, Vorgaben machen. Aber wer bin ich, dass ich jemanden vorscheiben kann, ob er rauchen oder trinken darf?“ Bekleidung, Unterwäsche und Winterschuhe, wie insgesamt alles andere, nimmt Catweazle nur in einwandfreien Zustand ab, betont der „Charity-Man“: „Es geht um Würde und Respekt. Diese Menschen müssen nicht das tragen oder essen, was andere in den Müll schmeißen.“
Unter facebook.com/Suicidesquadgegendepression gibt es mehr Informationen.
Für Sie berichtete Manuela Praxl.