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Nadire Kormaz Demirkiran_Neufahrn

Seit 2009 ist Nadire Kormaz Demirkiran täglich auf der Bahnhofstraße zu finden

Nadire und ihr Dönerstand

Mein heutiger Ratsch führt mich mitten auf die Bahnhofstraße, zu Nadire Kormaz Demirkiran. Sie ist dafür verantwortlich, dass der schnelle Hunger im Herzen Neufahrns immer gestillt werden kann. Die meisten kennen sie deshalb nur als „die Dönerfrau“. Nadire erzählt uns ihre Geschichte. Es regnet, als ich in dem mir so bekannten Döner-Container ankomme. Trotz des Wetters sind Nadire und ihr Mann gut gelaunt und begrüßen mich herzlich. Die Gastfreundschaft ist spürbar und ich bekomme sofort eine trockene Sitzgelegenheit und einen heißen Kaffee zum Aufwärmen angeboten. Noch ist nicht viel los. Das Mittagsgeschäft rollt erfahrungsgemäß erst gegen 11:00 Uhr an und so nimmt sich Nadire die Zeit, mir aus ihrem Leben zu berichten. Sie wurde am 10.09.1972 in Kayseri, in der Türkei, geboren. Zusammen mit ihren Eltern und ihren drei Schwestern wuchs sie in Kappadokien auf. „Als älteste der Schwestern nahm ich schon oft die Mutterrolle ein“, erinnert sie sich zurück.

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Der Vater hatte damals gleich zwei Geschäfte, die er selbst führte: Einen Schuhladen und einen Laden für Malereibedarf. Von ihm hat Nadire wohl auch den Geschäftssinn geerbt. Kaum verwunderlich, da sie bereits als 10-Jährige im Laden aushalf und diesen auch mal alleine schmiss, wenn der Papa zwischen den Geschäften pendeln musste. Man kannte sie im Dorf und die Leute erinnern sich heute noch an das kleine Mädchen im Malerei-Geschäft, das sich trotz ihres jungen Alters niemals einen Bären aufbinden ließ. Sie sei behütet aufgewachsen, das Leben fand auf der Straße statt. „Wir hatten noch keine Handys oder übermäßig viele Spielsachen, wir spielten draußen auf der Straße und erlebten täglich neue Abenteuer“, berichtet sie.

Mit 21 folgte sie ihrem Herzen und verließ die Türkei, um zu ihrem zukünftigen Ehemann nach Neufahrn zu kommen. „Natürlich war es anfangs schwer. Allein und ohne Familie in einem fremden Land.“, erzählt sie mir. Aber schon damals lautete Nadires Devise „Weitermachen!“. So brachte sie sich die deutsche Sprache schnell selbst bei und fand auch gleich geeignete Arbeitsstellen. „Es war mir immer wichtig, unabhängig zu sein und mein eigenes Geld zu verdienen.“ Egal ob am Flughafen, bei Avon oder Müller- Brot, Nadire wusste mit anzupacken und begeisterte schon damals mit ihrer fröhlichen Art. 1997 bekam sie einen Sohn – Mert. Später wurde er Namensgeber für den Imbiss seiner Mutter. Nach ihrer Elternzeit stieg Nadire wieder voll ins Arbeitsleben ein, erinnerte sich aber stets zurück an die Zeit als „eigener Chef“ in dem Laden ihres Vaters. Als sie 2009 von ihrem damaligen Nachbarn gefragt wurde, ob sie nicht den Döner-Anhänger in der Bahnhofstraße übernehmen wolle, überlegte sie nicht lange. 6 Monate lang pendelte sie nach der Arbeit in den Dönerladen ihres Schwagers nach Markt Schwaben und ließ sich die Grundkenntnisse des Döner-Handwerks beibringen. Viele Menschen rieten ihr damals ab: es sei zu viel Arbeit, zu anstrengend und die Arbeitstage seien zu lang für die zierliche Frau. Doch wer Nadire kennt, kennt ihren starken Willen und den Mut für Neues und so übernahm sie aller Widerworte zum Trotz noch im selben Jahr den kleinen Anhänger gegenüber der Sparkasse. Die Zeit verrann und heute ist sie selbst überrascht, schon seit fast 10 Jahren am Dönerspieß zu stehen.

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„Montag bis Freitag 10:00 – 20:00 Uhr/ Samstag 10:00 – 19:00 Uhr“, verrät mir das Schild an der Containertüre. In all den Jahren war Nadire hier immer zu finden. Nie war sie krank, immer für ihre Kunden da. Einmal pro Jahr müssen die Neufahrner aber für 3 Wochen auf Nadires leckere Köstlichkeiten verzichten. Auch sie braucht mal Urlaub, am liebsten in der Türkei im Kreise ihrer Liebsten. „Meine Eltern sind immer noch fit und freuen sich, wenn wir alle zusammenkommen. Dort kann ich entspannen und neue Kraft tanken“, erklärt sie fast entschuldigend. Eine Vertretung für ihre Abwesenheit wolle Nadire nicht, schließlich kommen die Kunden nicht nur wegen des leckeren Döners, viele kommen auch wegen Nadire.

Täglich verbringt sie mind. 11 Stunden in dem grünen Bau, egal zu welcher Jahreszeit oder Temperatur. Im Winter herrschen hier max. 15 Grad. „Da hilft die Hitze des Fleischspießes natürlich schon“, lacht Nadire. Im Hochsommer kann sich der Container aber durch eben diese Hitze auch mal auf 50-60 Grad aufheizen. „Wenn viel los ist, geht es aber meistens, da denke ich gar nicht darüber nach“, berichtet sie. Sie ist auch froh, dass ihr Rücken das ewige Stehen so gut mitmacht. Viel zum Sitzen kommt sie wirklich nicht, schließlich gibt es immer was zu tun. Die Entscheidung, ihr eigener Chef zu sein, habe sie nie bereut.

„Ich habe alles alleine gestemmt, lediglich bei den schweren Sachen und bei der Reinigung des Anhängers hatte ich Hilfe.“

Nadire Kormaz Demirkiran

Die Dönerbude war ihr Projekt und sie meistert es bis heute perfekt. Konkurrenzdenken kennt Nadire aber nicht, sie ist zu allen freundlich und jeder „backe schließlich sein eigenes Brot“. Trotzdem waren die Anfänge schwer. Gerade in den Anfangsjahren musste Nadire mit Vandalismus Bekanntschaft machen. Auf die Türe des alten Anhängers wurde damals zweimal mit einem Messer eingestochen, ebenso wurde die Verkaufsklappe beschädigt und es wurde versucht, diese aufzuhebeln. „Das waren, aber wohl nur ein paar halbstarke Jugendliche“, vermutet Nadire heute. Als sie sich 2013 scheiden ließ, stellte sich die Frage, den Imbiss zu schließen. Doch Nadire wollte, konnte ihrem Traum nicht aufgeben und machte weiter. „Das war eigentlich die härteste Zeit“, resümiert sie. Aber dank der Unterstützung von Freunden und Familie konnte sie den Traum der Selbstständigkeit aufrechterhalten. 2016 wurde der über 10 Jahre alte Verkaufsanhänger dann durch den jetzigen Container ausgetauscht. „Endlich konnte ich mir alles so einrichten, wie ich es brauche. So sehr ich den Anhänger auch geliebt habe, der Container ist einfach besser und schöner anzuschauen“, erklärt Nadire stolz.

Seit 2017 hat Nadire aber wieder jemanden an ihrer Seite, der sie täglich unterstützt. Fikret heißt der stille Mann im Hintergrund, der mir vorher so lieb den Kaffee gebracht hat. Fikret und Nadire kennen sich schon aus Kindertagen. 2016 trafen sie sich dann im Türkeiurlaub wieder und die alte Flamme entfachte erneut. „Sie war meine erste große Liebe und ich habe immer auf sie gewartet“, erzählt er mir. Man sieht die Liebe zu seiner 10 Jahre jüngeren Frau förmlich in seinen Augen. 2017 gaben sie sich das Ja-Wort. Ab 9 Uhr steht Fikret täglich im Container und bereitet alles vor, während seine Frau die Einkäufe erledigt. Er bereitet die Zutaten vor und heizt den Dönerspieß an. Untertags übernimmt er die anfallenden Arbeiten, während seine Frau die Kundschaft bedient. Fikret hat bereits die nötigen Deutschkurse besucht, allerdings übernimmt seine Frau noch immer den Großteil der Kommunikation. „Gerade wenn jemand sehr bayrisch spricht, verstehe ich auch nicht alles“, berichtet Nadire, „aber wenn man nett nachfrägt und lächelt, überwindet man auch die größten Sprachbarrieren.“ So kennt man die Dönerfrau auch, immer mit einem Lächeln im Gesicht. „Wir sind aber trotzdem beide Chef“, lächelt sie ihren Mann bescheiden an.

Die Liebe im Döner schmeckt man auch. Sie selbst habe sich aber noch nicht an dem mit Fleisch gefülltem Fladenbrot sattgegessen. Manchmal isst sie ihn nur 1x in der Woche, manchmal aber auch 5x – je nach Lust und Laune, erklärt sie. „Abends mag ich oft auch nicht mehr kochen.“

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Jung und Alt besuchen sie hier täglich, von jungen Deutsch-Türken, die den Dönerstand liebevoll „Mama-Hause“ nennen, über ältere Leute mit Gehilfen – Nadire ist im ganzen Ort bekannt und beliebt. An ihr schönstes Erlebnis erinnert sich Nadire gern zurück: Eine ältere Frau hat ihr an einem kalten Wintertag Vitamin- und Magnesiumtabeletten vorbeigebracht, weil sie sich um die Gesundheit der Dönerfrau gesorgt habe. Es sind Nadires liebste Momente, wenn sie von ihren Kunden eine kleine Aufmerksamkeit zurückbekommt. Im Sommer komme es häufiger vor, dass sie mal ein Eis zu Abkühlung an ihren Arbeitsplatz bekommt. Und auch während sie mit mir spricht, kommt leise ein dunkelhäutiger Mann angeschlichen, der ihr wortlos, aber mit einem großen Lächeln im Gesicht einen kleinen Strauß Blumen übergibt. Nadire strahlt, sie liebt ihre Arbeit und ihre Kundschaft sehr. Sie ist nicht nur Verkäuferin, sie ist Köchin, Geschäftsfrau und manchmal auch ein bisschen Therapeutin.

Nadires Döner werden mit Puten- und Hähnchenfleisch gefüllt. Lamm mag sie selber nicht, deshalb bietet sie dieses auch nicht an. Anders als allgemein gedacht, bestehe der traditionelle Dönerspieß auch nicht aus Lamm-, sondern aus Rinderfleisch, erklärt sie mir. Sonntags ist Nadires einzig freier Tag. An diesen Tagen mache sie den Haushalt, gehe gern spazieren und legt auch mal gern die Füße hoch und entspannt vom harten Alltag. Wie lange sie noch weitermacht, weiß sie nicht. Aber eins weiß sie genau, ihre Rente will sie zusammen mit ihrem Mann in der Türkei verbringen.

Noch kann ich mir nicht vorstellen, wie die Bahnhofstraße ohne Nadire und ihre Döner aussehen soll. Die Frau, die in den Döner auch immer ein bisschen Liebe mit hineingibt, ist so viel mehr als nur Verkäuferin. Sie ist Köchin, Mama und Freundin geworden. Ich bedanke mich für einen so lieben Besuch und packe gleich unser Abendessen mit ein, denn nicht zu vergessen „Döner macht schöner“.

Für Sie berichtete Katharina Raeck.

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