Julia von Miller – stimmgewaltig und in jedem Genre zuhause.
Julia von Miller, Anatol Regnier und Frederic Hollay in der Neufahrner Bibliothek
Wohin es an diesem Abend ging, machte Julia von Miller zu Beginn deutlich: „Sentimental Journey“, eine Reise durch rund vier Jahrzehnte, sentimental, berührend und heiter. „Stell dir vor, wir hätten was zu rauchen“ Der Titel des Programms ließ vermuten, dass es um Zeiten von Not und Entbehrung ging. Doch auch um Aufbruch und Neuanfang, wenn sich Anatol Regnier erinnert: „Man konnte wieder sagen was man wollte und man konnte wieder träumen.“ Bitter, dass er kein Lied fand, das auch nur annähernd als Entschuldigung für die deutschen Kriegsverbrechen gelten konnte. So musste ein Song dafür herhalten, mit dem die amerikanische Sängerin Brenda Lee 1960 bekannt wurde: „I am sorry, so sorry“.
Julia von Miller und Anatol Regnier singen von Träumen in der Nachkriegszeit: „Stell dir vor, wir hätten was zu rauchen.“.
Auszüge aus den Radio-Ansprachen von Thomas Mann, Texte von Erich Kästner und Erinnerungen von Anatol Regnier wechselten sich ab mit Schlagern und Songs aus vergangenen Zeiten. Julia von Miller schlüpfte mühelos in die verschiedensten Rollen, sei es Ursula Herking mit Erich Kästners „Marschlied“, Elvis Presley mit Hüftschwung und Haartolle oder Trude Herr, deren Schlager „Ham se nich nen Mann für mich“ so manche Zuhörerin veranlasste, (mehr oder weniger) leise mitzusingen. In diese Zeitreise fiel auch ein großes Sportereignis. Doch obwohl „der Theodor, der Theodor…“ beim Finale der Weltmeisterschaft 1954 nicht im Fußballtor stand, bleibt es trotzdem unvergesslich, auch dank der legendären Radioreportage von Herbert Zimmermann, gekonnt interpretiert von Anatol Regnier.
„Jetzt kommt das Wirtschaftswunder“ von Franz Grothe und Günter Neumann leitete über zu einer neuen Zeit, in der man nicht mehr von „Würstchen mit Salat“ träumte. Jetzt gab es Kölnisch Wasser, Camping, Soraya und Farah Diba, aber auch die Einführung der Verkehrssünderkarte in Flensburg – Namen und Begriffe, die erstmals in den späten 1950er Jahren aufkamen. Frederic Hollay am E-Piano war der perfekte musikalische Begleiter. Dass die beiden Herren Regnier und Hollay ihre Partnerin ausgiebig anhimmelten, war nur zu verständlich, sie glänzte durch Wandlungsfähigkeit und Stimmgewalt – sie wäre mühelos auch ohne Mikrofon ausgekommen – und ganz besonders durch ihre bravourösen Tanzeinlagen, man denke insbesondere an die „Beine der Dolores“!
„Vergangen, vergessen, vorüber“ von Freddy Quinn war der passende Schluss für die „Sentimental Journey“. Das Publikum war begeistert und bedankte sich mit anhaltendem Beifall und lauten Bravo-Rufen. Glücklicherweise hatten die drei eine Zugabe eingeplant. Sie verabschiedeten sich mit dem Lale-Andersen-Song „Ich bin ein Mädchen aus …“, nein, heute nicht aus Piräus, sondern „…von der Isar“, mit schmachtendem Blick und rauchiger Stimme vorgetragen von Julia von Miller.
Für Sie berichtete Maria Schultz.
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