Viel mehr als nur ein altes Haus

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Das geschichtsträchtige Mesner-Haus erwacht zu neuem Leben – die Arbeiten schreiten voran

Die Reanimation eines Herzstücks

Wer sich die Zeit nimmt und ganz genau hinhört, kann überraschenden und spannenden Geschichten lauschen, die uralte Mauern erzählen. In Neufahrn ist so ein Zeitzeuge durch die Jahrhunderte hinweg, das Mesnerhaus an der Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Wilgefortis. In der Gemeinde steht das Gebäude seit Mitte der 1960er Jahre als einziger urbaner Bau unter Denkmalschutz. „Neufahrn ist viel mehr als eine Industriegemeinde, wir haben eine reiche Geschichte“, erklärt Ernest Lang, Vorsitzender des Heimat- und Geschichtsvereins. „Wir können seit der Keltenzeit vor mehr als 3000 Jahren eine lückenlose Besiedlung nachweisen. Erst jüngst haben wir sieben bajuwarische Neufahrner, also deren Skelette ausgegraben, die rund 1200 Jahre alt sind.“

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Wallfahrtsziel

Zu einem wahrhaften „Hot-Spot“ für Gläubige, entwickelt sich Neufahrn im 16. bis 18. Jahrhundert. „Das ist tatsächlich ziemlich in Vergessenheit geraten“, sagt Ernest Lang. „Wallfahrer nahmen in ihrer Not den beschwerlichen Weg von weit außerhalb der Landkreisgrenzen auf sich, um unter dem romanischen Wilgefortis-Kreuz zu beten.“ Prominentester Pilger jener Tage ist der Freisinger Fürstbischof Veit Adam von Geebeck. Während des 30-Jährigen Krieges reist er gleich dreimal nach Neufahrn. „Auch Kurfürstin Maria Anna, die zweite Frau des bayerischen Kurfürsten Maximilian I., ließ sich als Stifterin des Hochaltars, einen Besuch nicht nehmen“, weiß Lang. Statt eines schnell geknipsten Selfies, müssen damalige Pilger ihre erschöpften grauen Zellen bemühen, um sich die sieben gotischen Bildtafeln von 1527, die die Legende der Auffindung des Wilgefortis Kreuzes darstellen, einzuprägen. Zurück in ihren Heimatstädten Rosenheim oder Wasserburg, sorgen sie für Nachbildungen mit ähnlichen Darstellungen und übereinstimmenden Inschriften, die heute von den erstaunlichen Gedächtnisleistung der Wallfahrer zeugen. Doch nicht nur das Wilgefortis- Kreuz ist Ziel der christlichen Wanderer, sondern auch der romanische Christoph, eines der ältesten Holzbildwerke Bayerns aus dem 12. Jahrhundert und der Heilige Leonhard in der Friedhofskapelle, dem heutigen Mesnerhaus.

„Daher sollen bis rund 60 Leute Platz finden aus allen möglichen Interessensgruppen, die sich einmieten können für ihre Vorträge oder Ausstellungen und dergleichen.“

Beate Frommhold-Buhl, Vorsitzende SPD-Ortsverein

Kinder, Klosterfrauen, Kriege

Mit Einführung der Schulpflicht 1802 durch Kurfürst Max I. Joseph baut die Pfarrei Eching mit seinen zugehörigen Dörfern Dietersheim, Neufahrn, Mintraching, Achering, Grüneck und Pulling das Gebäude für die Schulkinder um. Bereits 1829 platzt es aus allen Nähten, denn 159 Buben und Mädchen besuchen den Unterricht. Eine untragbare Situation, findet der damalige Lehrer und empfiehlt etwas, was heutige Schulkinder nur allzu gut kennen: Wechselunterricht! Nach dem Umzug in die neue Schule 1908 (Jugendzentrum Juz), beherbergen die Kellerräume zunächst eine Molkerei und seit 1923 den ersten Arzt mit seiner Praxis. Während der Nazi-Diktatur kauft die katholische Kirche 1937 das Haus zurück, in dem zunächst Klosterschwestern beten und arbeiten, später Flüchtlinge und ausgebombte Münchner unterkommen. „Darunter war ein gewisser Rößler“, erzählt Lang. „Vom Dach hat er die Amerikaner mit ihren Panzern aus Richtung Eching am 29. April 1945 gesehen und das Zeichen gegeben, damit andere auf dem Kirchturm die weiße Fahne hissen konnten.“

 

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Koran statt Bibel

Bis zur Einweihung der neuen Schule 1963 im Fürholzner Weg pauken noch einmal Dritt- und Viertklässler in den Räumen, bis der türkischer Arbeiterverein in den 1970er Jahren die Räumlichkeiten anmietet und einen Dreh- und Angelpunkt für Landsleute schafft. Sie treffen sich unter dem Dach des alten Mesnerhauses zum Gebet oder gemütlichen Ratsch auf ein Tässchen Çay und lassen sich nebenbei die Haare schneiden. 1998 erwirbt die Gemeinde erneut das Haus, das inzwischen stark sanierungsbedürftig ist. „Zu teuer“, findet der Gemeinderat 2011 und rät dem Bürgermeister zu verkaufen. „Ab da begann der noch nicht vorhandene Heimat- und Geschichtsverein seine Aktivitäten. Wir wollten ein Haus, das an so einer empfindlichen Stelle wie dem Friedhof steht mit einer so reichen Geschichte nicht einfach verkaufen oder abreißen“, betont Lang. „2012 haben 70 Mitglieder den Verein gegründet. Unser erstes Ziel war, das Haus in öffentlicher Trägerschaft zu erhalten.“

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Es tut sich was

Nach einigen Schwierigkeiten mit dem ehemaligen Architekten schreiten die Sanierungsarbeiten unter Architekt Armin Peschmann stetig voran. „Ich kann mir schon jetzt den multifunktionalen Raum vorstellen, so hell und luftig mit den wunderschönen alten Balken in der Decke“, eröffnet Lang. Sogenannte Pflichtaufgaben der Gemeinde, wie ein Standesamt oder die Einrichtung des Gemeindearchivs, seien nicht möglich. Die Städtebauförderung bezuschusse zwar das Projekt ordentlich, mache aber einige Nutzungsauflagen. „Daher sollen bis rund 60 Leute Platz finden aus allen möglichen Interessensgruppen, die sich einmieten können für ihre Vorträge oder Ausstellungen und dergleichen. In der Größenordnung haben wir hier nichts“, äußert sich Beate Frommhold-Buhl, Vorsitzende des SPD-Ortsvereins. „Wir haben uns ja grundsätzlich immer ganz stringent für den Erhalt ausgesprochen, weil wir einfach den alten Kern Neufahrns, das Herzstück, erhalten wollen. Und wir sehen endlich Land“, freut sich Frommhold-Buhl. „Vielleicht ist es keine vollkommene Schönheit, aber das alte Mesnerhaus gehört zur einfach zur Ortsgeschichte.“

Für Sie berichtete Manuela Praxl.

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