Als Zeitzeuge kann Pfarrer Otto Steinberger aus eigener Erfahrung über die damaligen Ereignisse erzählen.
„Irrsinn bis zum Ende“
Im Rahmen der Vortragsreihe zum Kriegsende vor 80 Jahren hatte der Heimat- und Geschichtsverein Neufahrn am 8. Juli erneut zu einem Vortrag von Ernest Lang eingeladen. Der 1. Vorsitzende des Heimatvereins schilderte das Außenlager Neufahrn des KZ Dachau und beschrieb detailliert den Ablauf des denkwürdigen Tages, als am 29. April 1945 die Amerikaner in Neufahrn einmarschierten. Viele Gespräche mit alten Neufahrnern und Unterlagen von Staatsarchiv und Landesvermessungsamt vermittelten ihm die Informationen dazu. Im Gemeindearchiv Neufahrn ist allerdings über diese Zeit nur wenig vorhanden, da fast alles vernichtet wurde.
Der 29. April 1945 war ein Sonntag, der – nicht nur – in die Neufahrner Geschichte eingehen sollte. Tiefflieger hatten an den Tagen vorher noch für Aufregung gesorgt und auch nachts war noch Geschützfeuer zu hören gewesen. An diesem denkwürdigen Sonntag wurden rund 300 Gefangene aus dem Zuchthaus Straubing von Massenhausen nach Neufahrn getrieben, sie sollten nach Goldach weitergebracht werden. Die Wachmannschaft schaffte es auf dem Rückweg nach Neufahrn gerade noch rechtzeitig über die Isarbrücke, ehe diese von der SS gesprengt wurde. In Neufahrn wollte die SS sogar noch Maschinengewehre am Kirchturm anbringen, wurde aber davon abgehalten, denn die weiße Fahne lag schon bereit und die Amerikaner marschierten in Neufahrn ein. Über die Kapitulation Neufahrns gibt es unterschiedliche Versionen, am wahrscheinlichsten ist, dass ein gewisser Hans Huber den Amerikanern mit einer weißen Fahne entgegenging. Die Übergabe ging vonstatten, ohne dass ein Schuss fiel
Kurz vor Kriegsende, am 10. April, wurde in Neufahrn an der Dietersheimer Straße noch ein Außenlager des KZ Dachau errichtet. 500 Häftlinge sollten mit primitivstem Werkzeug in der Garchinger Heide eine Flugpiste anlegen. Genaue Listen wurden geführt mit Namen, Alter und Beruf dieser Männer, die bereits einen langen Leidensweg durch mehrere Konzentrationslager hinter sich hatten. Durch Fehler bei der Dokumentation wurde das Lager Neufahrn lange als „Außenlager Eching“ geführt und wird auch heute noch fälschlicherweise als Außenlager „Eching/Neufahrn“ bezeichnet, obwohl es auf Neufahrner Gebiet lag. Anhand zahlreicher Details ließ Ernest Lang das Lager vor den Augen des Publikums erstehen: Zwölf Baracken, eine Waschbaracke, eine (kaum benutzte) Küchenbaracke, alles umgeben von einem hohen, nach innen gewölbten Zaun. Auf Luftaufnahmen erkennt man Deckungslöcher, die bei Luftangriffen allerdings nur vom Wachpersonal aufgesucht werden durften. Suchte ein Häftling dort Schutz, wurde er sofort erschossen. Prügelstrafen waren an der Tagesordnung, am schlimmsten war jedoch der Hunger. Schilderungen persönlicher Schicksale und Zeugenaussagen, die Ernest Lang vorlas, verdeutlichten die unmenschliche Situation im Lager auf besonders realistische Weise.
Nach der Kapitulation wurden die Häftlinge befreit und Neufahrner Familien sorgten für Verpflegung und Unterkunft. So wurden z.B. auf dem Hof der Familie Steinberger 50 Laibe Brot gebacken und Milch ausgeschenkt, wie Pfarrer Otto Steinberger erzählt, der diese Ereignisse als Kind miterlebt hatte.
„Wer war verantwortlich? Wer wurde zur Rechenschaft gezogen?“ fragte Ernest Lang am Schluss. 1973 wurde ein Verfahren gegen Unbekannt eingeleitet, in dessen Verlauf Häftlinge übereinstimmend die Zustände im Lager beschrieben. Das Verfahren wurde einige Jahre später eingestellt, da keine Namen von Verantwortlichen genannt waren.
„Wir dürfen es nicht vergessen!“ Mit diesem Appell beendete Ernest Lang seinen Vortrag, der großes Interesse in Neufahrn gefunden hatte und bei dem die Gäste sehr konzentriert, aufmerksam und sichtlich betroffen zugehört hatten.
Zwei weitere Veranstaltungen werden im Herbst an das Kriegsende in Neufahrn erinnern: Am30. September hält Ernest Lang um 20 Uhr in der Gaststätte Maisberger einen Vortrag mit dem Thema „Kriegsende, Nachkriegszeit und demokratischer Neubeginn in Neufahrn 1946/48“. Am 28. Oktober liest die Neufahrner Gemeindearchivarin Dr. Carolin Weichselgartner aus Zeitzeugenberichten der Pfarrer in unserer Gegend „„Schlimm war die Zeit nach dem Einmarsch durch die Plünderungen…“ Diese Veranstaltung ist eine Kooperation mit der VHS und findet im Mesnerhaus statt.
Für Sie berichtete Maria Schultz.










